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AutorenbildStefan Schmidinger

Der Weg zur Veränderung: Widerstand, Verbitterung und Wachstum in der Therapie verstehen

Als Psychotherapeut habe ich zahlreiche Augenblicke miterlebt, in denen meine Klienten mit Herausforderungen rangen, Durchbrüche erzielten und transformative Veränderungen erlebten. Ein wiederkehrendes Thema ist die immense Schwierigkeit, die Menschen oft empfinden, wenn es darum geht, Entscheidungen für Veränderungen zu treffen. Für viele ist dieser Widerstand nicht nur durch Angst oder Unsicherheit geprägt – er wird oft mit Verbitterung und einer Fixierung auf die aktuelle Situation oder vergangene Wunden verwoben.

Warum Veränderung so schwerfällt

Veränderung, selbst wenn sie notwendig oder gewünscht ist, bringt oft ein Gefühl von Unbehagen und Unsicherheit mit sich. Aus psychologischer Sicht ist der Widerstand gegen Veränderung tief in unseren Überlebensinstinkten verwurzelt. Das Gehirn ist darauf ausgelegt, Vorhersehbarkeit zu bevorzugen, da Vorhersehbarkeit Sicherheit bedeutet. Vor dem Unbekannten – selbst wenn es positive Veränderungen bringen könnte – stehen viele Klienten vor einem inneren Konflikt: Sie halten an der Vertrautheit ihrer Probleme fest, weil diese Sicherheit bietet, während sie gleichzeitig den möglichen Schmerz des Wachstums fürchten.

Für manche manifestiert sich dieser Widerstand in einer übermässigen Fokussierung auf die Hindernisse, die sie sehen. Sie sprechen wiederholt über die Ungerechtigkeit ihrer Situation, fixieren sich auf die Handlungen anderer oder verharren in einer Opferrolle. Während diese Emotionen und Gedanken berechtigt sind – und oft auf reale Erfahrungen von Verletzungen oder Ungerechtigkeit zurückzuführen sind – können sie einen sich selbst verstärkenden Zyklus der Stagnation schaffen.


Die Rolle der Verbitterung

Verbitterung entsteht oft als Bewältigungsmechanismus für ungelösten Schmerz. Patienten, die sich in ihren Umständen gefangen fühlen, entwickeln möglicherweise eine verbitterte Einstellung, um sich vor Verletzlichkeit zu schützen. Ein Patient könnte zum Beispiel sagen: „Warum sollte ich es versuchen, wenn sich sowieso nichts ändert?“ oder „Ich habe alles richtig gemacht, und trotzdem bin ich hier.“ Diese Verbitterung dient als Schutzschild, der sie vor Enttäuschung bewahrt, sie aber auch daran hindert, voranzukommen.

Verbitterung geht oft mit einem tiefen Gefühl von Ungerechtigkeit oder Verrat einher – sei es durch andere, die Gesellschaft oder sogar das Leben selbst. In der Therapie zeigt sie sich häufig in Form von Abwehrhaltung, Schuldzuweisungen oder sogar Feindseligkeit gegenüber der Idee von Hoffnung oder Möglichkeiten. Während diese Denkweise schützend wirken mag, verstärkt sie oft das Gefühl von Isolation und Hilflosigkeit.


Entscheidungsblockaden in der Therapie

Ein wesentlicher Moment der Herausforderung für viele Patienten ist der Punkt, an dem sie eine konkrete Entscheidung für Veränderungen treffen müssen. In diesen Momenten erlebe ich oft tiefe Zweifel und Ängste. Klienten hinterfragen möglicherweise ihre Fähigkeit, erfolgreich zu sein, fürchten den Verlust der Vertrautheit ihrer aktuellen Identität oder zweifeln daran, dass die Veränderung die erhoffte Erleichterung bringt.

Diese Blockade führt oft zu einer Überanalyse von Optionen, einer Vermeidung von Handlungen oder einem Rückzug in die vertrauten Muster ihrer aktuellen Situation. Für manche wird die Idee der Veränderung so überwältigend, dass sie sich noch stärker an ihre Verbitterung klammern und diese als Rechtfertigung für Untätigkeit nutzen.


Den Kreislauf durchbrechen: Die Rolle des Therapeuten

Als Therapeuten ist es nicht unsere Aufgabe, unsere Patienten zur Veränderung zu drängen, sondern sie sanft durch ihren Widerstand zu führen. Hier sind einige Ansätze, die ich bei der Arbeit mit Patienten, die mit Verbitterung und Entscheidungsfindung kämpfen, als effektiv empfinde:


  1. Validierung ihrer Erfahrungen: Es ist entscheidend, die Gefühle von Frustration und Verbitterung des Patienten ohne Urteil anzuerkennen. Diese Gefühle stammen oft aus echtem Schmerz und sollten mit Mitgefühl behandelt werden. Die Validierung ihrer Erfahrungen kann ein Gefühl von Sicherheit und Vertrauen in die therapeutische Beziehung schaffen.


  2. Die Funktion der Verbitterung erforschen: Ich lade Patienten oft dazu ein, darüber nachzudenken, wie ihre Verbitterung ihnen dient. Schützt sie sie vor Enttäuschung? Gibt sie ihnen ein Gefühl von Kontrolle? Durch das Verständnis des Zwecks ihrer Verbitterung können Patienten beginnen, sie nicht als festen Zustand, sondern als Bewältigungsmechanismus zu sehen, den sie schliesslich loslassen können.


  3. Einführung kleiner, machbarer Veränderungen: Wenn Veränderung überwältigend erscheint, können kleine Schritte einen grossen Unterschied machen. Ich ermutige Patienten, eine kleine Handlung in Richtung ihrer Ziele zu unternehmen, selbst wenn sie unbedeutend erscheint. Erfolg mit diesen kleinen Schritten kann Vertrauen und Schwung für grössere Veränderungen aufbauen.


  4. Die Erzählung umgestalten: Patienten dabei zu helfen, ihren Fokus von dem, was sie nicht kontrollieren können, auf das zu verlagern, was sie kontrollieren können, gibt ihnen die Möglichkeit, Verantwortung für ihr Leben zu übernehmen. Anstatt sich auf die Ungerechtigkeit ihrer Situation zu fixieren, könnten wir gemeinsam erkunden, wie sie innerhalb ihrer Umstände Bedeutung oder Handlungsspielraum schaffen können.


  5. Selbstmitgefühl fördern: Viele Patienten, die mit Verbitterung kämpfen, sind auch stark selbstkritisch. Praktiken wie Selbstmitgefühlsübungen oder Achtsamkeit können Klienten helfen, eine freundlichere Beziehung zu sich selbst zu entwickeln und die Macht der Verbitterung zu verringern.


Die Kraft der Veränderung: Das verborgene Potenzial in Herausforderungen

Das Inspirierendste an meiner Arbeit ist der Moment, in dem ein Patient beginnt, seinen Kampf nicht als Sackgasse, sondern als Tür zur Entwicklung zu sehen. Verbitterung, Widerstand und Angst sind keine Feinde, die beseitigt werden müssen, sondern Signale von zugrunde liegendem Schmerz und unerfüllten Bedürfnissen. Wenn Patienten diesen Emotionen mit Neugier statt mit Vermeidung begegnen, entdecken sie oft neue Ebenen von Resilienz und Möglichkeiten.

Ein Patient, der jahrelang in Verbitterung über seine Karriere verharrt hatte, erkannte schliesslich, dass seine Wut ein tiefes Verlangen nach Kreativität und Erfüllung verbarg. Indem er sich der zugrunde liegenden Angst vor Versagen stellte, konnte er kleine Schritte unternehmen, um eine lang vernachlässigte Leidenschaft zu verfolgen. Die Veränderung war weder sofort noch linear, aber sie war transformativ.


Veränderung ist selten einfach, und der Weg zur Transformation ist oft mit Unbehagen, Angst und Momenten des Zweifels gepflastert. Verbitterung und Widerstand sind natürliche Teile dieses Prozesses, aber sie müssen ihn nicht definieren. Als Therapeuten ist es unsere Aufgabe, Raum für die Kämpfe unserer Patienten zu schaffen, sie sanft zur Klarheit zu führen und ihnen zu helfen, den Mut aufzubringen, ins Ungewisse zu gehen.

Für Patienten mag die Reise entmutigend erscheinen, doch in jedem Moment der Herausforderung liegt das Potenzial für Wachstum. Die Entscheidung zur Veränderung liegt letztendlich bei ihnen, und obwohl der Prozess unsicher sein mag, sind die Belohnungen von Selbstentdeckung und Heilung unermesslich.

Indem Widerstand neu gerahmt und das Unbehagen der Veränderung angenommen wird, können Therapeuten und Patient gemeinsam einen Weg zu einem erfüllteren und authentischeren Leben schaffen.

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